Von Gummigriffeln, Crowdfunding und Preisbildung


Dan Provost und Tom Gerhardt hatten für ihr iPhone-Stativ glif eine vielbeachtete Finanzierungsrunde über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter erfolgreich abgeschlossen. Für ihr neues Produkt Cosmonaut lag es daher nahe, wieder den Weg über Kickstarter zu gehen. Cosmonaut ist ein aus Gummi gefertigter Stift zur Bedienung von Gadgets mit kapazitiven Display, wie dem iPhone, iPad, iPod Touch, Samsung Galaxy Tab oder Motorola Xoom. Von der Form erinnert er an einen Wachsmalstift ind der Größe eines Boardmarker. Ein interessantes Konzept.

Wenn man auf die Projektseite geht, sieht es nach einem Erfolg aus, denn das Projekt war bereits drei Tage nach dem Start „überfinanziert“. Wenn man jedoch genauer hinsieht, stellt man fest, dass Provost und Gerhardt eine Schlappe hinnehmen mussten.  

Bei der Preisbildung gingen Provost und Gerhardt diesmal (zunächst) einen anderen Weg:

Pledge $1 or more

PAY WHAT YOU WISH. What is a comfortable, minimal, well-designed touch screen stylus worth to you? Every backer will receive a Cosmonaut, regardless of their contribution, so long as we reach the funding goal. The Cosmonaut will ultimately retail for $25. The cost of shipping should be included in your pledge, whatever you think is fair. We will ship worldwide.
[Cosmonaut-Projektseite auf Kickstarter]

Mit dem Einsatz von $1 konnte man also einen der Stifte bekommen, solange andere Unterstützer genügend Geld drauflegen. Für den potentiellen, aber vielleicht nicht ernsthaft interessierten Käufer war die $1-Wette ein gutes Geschäft, denn für diesen Preis würde er wieder die Chance bekommen, dieses Produkt zu erwerben.

Auch für Provost und Gerhard war das finanzielle Risiko überschaubar. Über die Obergrenze für die Anzahl der Beteiligungen war sicher gestellt, dass der angestrebte Gesamtbetrag von $50.000 nicht durch eine große Zahl von Mini-Beteiligungen erreicht wird. Indirekt war damit der Mindestpreis per Einheit definiert und dieser sollte kostendeckend kalkuliert sein. Im Worst-Case gäbe es 3000 Beteiligungen mit einer Summe von unter $50.000 und es käme zu einer Hängepartie, bei der es nicht zur Produktion kommt.

Zu dieser Hängepartie kam es schnell als erwartet. Nach nur 48 Stunden waren die 3000 Beteiligungen weg. Statt des benötigten $16,67 pro Beteiligung lag der Durchschnitt bei nur $14,85. Durch das ausgeschöpfte Limit bei der Anzahl der verfügbaren Beteiligungen war die Finanzierungsrunde von neuen Investoren abgeschnitten. Eine erfolgreiche Finanzierung wäre nur noch möglich gewesen, wenn die ernsthaften Interessenten ihre Anteile nachträglich erhöht hätten.

Gerhardt und Provost entschieden sich über einen einfachen und auch eher langweiligen Weg neue Interessenten ins Boot zu holen: Die ursprüngliche Beteiligungsoption bleibt neuen Investoren verschlossen, statt dessen wurden zwei neue, unlimitierte Optionen eröffnet, über einen Festpreis in Höhe des geplanten späteren Verkaufspreises von $25 pro Stift einen bzw. zwei Stifte erwerben zu können.

In den Kommentaren zum oben verlinkten Blogposting, in dem Provost und Gerhardt ihre Entscheidung, die Finanzierung zu ändern, bekannt gaben, werden verschiedene Erklärungen für das Zwischenergebnis gegeben:

  • Ein Teil der Backers bekennt sich dazu, dass sie bewusst weniger als den rechnerisch notwendigen Betrag gegeben haben, weil aus ihrer Sicht das Produkt keine $16 wert sei.
  • Ein kleine Gruppe zieht sich darauf zurück, dass sie sich wirtschaftlich nicht mehr leisten könnte.
  • Ein Teil bekennt sich freimütig dazu ein freeloader zu sein und bewusst den Minimalpreis von $1 gegeben zu haben. Dies entspreche den Ausschreibungsbedingungen und sei nicht zu beanstanden.
  • Andere argumentieren, dass sie zunächst einen niedrigeren Betrag gegeben hätten, um später nachzuschießen um den Erfolg des Projektes zu sichern.

Auch wenn das Vorgehen der freeloader auf den ersten Blick einen faden Nachgeschmack hinterlassen mag, so ist dieses Vorgehen legitim. Es mag nicht von jenem Altruismus geprägt sein, der oftmals dem Crowdfunding angeheftet wird, aber die Ausschreibungsbedingungen sahen diese Möglichkeit vor und Denen, die mehr gegeben haben, sollte dies auch bewusst gewesen sein. Und Finanzierung von Produktideen ist letztendlich auch nur knallhartes Business.

Was bei mir letztendlich ein Nachgeschmack hinterlässt, ist das (schnelle) Umsteuern durch Gerhardt und Provost. Es hatte sich zu klar definierten Bedingungen eine Investorengemeinschaft zusammengefunden, die nicht bereit war, das notwendige Kapital aufzubringen. Es wäre abzuwarten gewesen, ob sich hier noch eine Änderung ergeben hätte. Ansonsten Finanzierung gescheitert. Punkt.

Nun werden Dritte ins Boot geholt, die mit einen erheblich über dem für die Finanzierungsrunde zunächst angepeilten Anteil den Karren aus dem Dreck ziehen sollen. In meinen Augen ist das nicht fair gegenüber den Neueinsteigern, denn sie finanzieren mit ihrem höheren Anteil die Produktrealisierung für Jene, die nicht bereit waren, den erforderlichen Anteil zu bringen. Und das ohne einen Mehrwert. Aber o.k., niemand wird gezwungen.

Ich kann aber auch Provost und Gerhardt verstehen, die die Finanzierung ihres Produktes sichern wollen. Denn für sie geht es ums Business.

Interessant ist, dass Gerhardt und Provost mit dem Umsteuern bei der Finanzierungsstrategie selbst ein finanzielles Risiko eingegangen, das für das Crowdfunding über Kickstarter eher unüblich ist:

Nach den veröffentlichten Zahlen hatten sie nach der missglückten 3000er-Runde $44.550 (3000 x $14,85) eingenommen, sodass ihnen noch $5450 fehlten. Mit 218 Zusagen für die Abnahme von einem Stift war das Mindestkapital erreicht und Provost und Gerhardt in der Lieferpflicht. Bei dieser Stückzahl haben die Einnahmen bei nur $15,54 pro Stück gelegen, also unterhalb des ursprünglich angestrebten Ziels. Sie hätten für einen niedrigeren als dem kalkulierten preis liefern müssen.

Erst ab 655 ($5450/($25-$16,67)) zusätzlich verkauften Anteilen war das ursprünglich angestrebte Ziel von $16,67 erreicht. (Bei diesen Berechnungen bleiben Erhöhungen der ursprünglichen Backer sowie Einlagen von über $25 pro Stick der Späteinsteiger außen vor.)

Dass die Neueinsteiger die Bedingungen nicht als unfair ansehen, zeigt die Resonanz. Innerhalb von nicht ganz vier Tagen haben sich 1500 Backers gefunden, die zu den neuen Bedingungen das Projekt unterstützen und nun schnell zum Erfolg geführt haben. Auch wenn schon jetzt die Steigerung abnimmt, würde ich mich nicht wundern, wenn die Finanzierungsmarke von 200% überstiegen werden würde.

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