Ist ein Bild dann noch ein Abbild?

Der Spiegel bericht in seinem aktuellen Heft unter dem Titel Obskure Kameras (Heft 39/2006, Seite 234) über den Trend zu komplexen Bildbearbeitungsfunktionen, die in die Firmware von Digitalkameras intergiert werden (sollen).

Wer sich etwas intensiver mit der Technik von Digitalkameras auseinander gesetzt hat, der weiß, dass bevor das Bild als JPEG auf die Speicherkarte geschrieben wirde, die Daten bereits einige Bildbearbeitungsschritte durchlaufen haben. Sofern man die Bilder nicht im RAW-Format ablegen lässt, werden die vom Sensor kommenden Daten zu einem darstellbaren Bild aufbereitet (z.B.: Weißabgleich, Farbsättigung, Kontrast, Rauschunterdrückung, Scharfzeichnung). Bereits diese Schritte können Bildinhalte verändern.

Als weiteres Hilfsmittel bringen viele Digitalkameras einen digitalen Bildstabilisator mit. Dieser dient dazu kleine Verwackler auszugleichen, damit auch bei längeren Belichtungszeiten noch scharfe Bilder ohne Stativ möglich sind. Sogar der Kamerateil meines Sony Ericsson K800i (Mobiltelefon) besitzt eine entsprechende Funktion (wenn auch nur für bestimmte Automatik-Presets).

Einige der vielgepriesenen Anti-Verwacklungs-Programme etwa dienen einzig dazu, die Lichtschwäche der Kameras zu kompensieren.
[Klaus Peek, c’t in Der Spiegel a.a.O.]

Obige Aussage gilt nicht nur für die Bildstabilisatoren, sondern auch teilweise für die Rauschunterdrückungs- und Scharfzeichnungsprogramme.

Wer einmal eine Fuji FinePix S9500 benutzt hat, kennt die Probleme. Die 9500 hat 9 Megapixel, wobei die Sensorfläche gegenüber der von mir genutzten FinePix 602s (3 Megapixel) unverändert geblieben ist. Das einzelne Pixel „bekommt zu wenig Sonne ab“ und die hohe Packungsdichte führt zusätzlich zu einem Rauschen. Um dem Rauschen Herr zu werden, müssen aggressive Rauschunterdrückungsalgorithmen ran. Denen sagt man wiederum nach, dass sie gerne auch mal feine Strukturen „weg-entrauschen“. Und da fängt schon fast die Veränderung von Bildinhalten an…

Da was auf der aktuellen Photokina vorgestellt wird, geht erheblich weiter.

Da verschlangt die Pixel-Diät von HP Figur und Gesicht, Pre-Shot von Casio setzt Personen vor beliebige Hintergründe und der Tourist-Remover entvölkert den Markusplatz. Wohlgemerkt alles schon in der Kamera; live und in Farbe.

Doch wer ist dann der Autor der neuen Computerfotos? Haben sie als Teamarbeit von Fotograf und Software-Entwickler zu gelten?
[Der Spiegel, a.a.O.]

Gleichermaßen amüsante, wie interessante Fragen, über die man aber IMHO nicht zu ernstlich und intensiv nachdenken sollte, weil sogleich die viel wichtige Frage folgt:

Wer jedoch wäre verantwortlich, wenn aus einem Flugzeug, das über Beirut kreist, auf dem Foto versehentlich zwei Flugzeuge würden, weil das Anti-Verwacklungs-Programm der Kamera zwei Bilder nicht ganz korrekt ineinandermontiert hat?
[Der Spiegel, a.a.O.]

Auch wenn ich nicht einschätzen kann, wie realsitisch ein solcher Fehler ist, bleibt doch die Frage nach der Authentizität von Bildern.

Der Film Forrest Gump hat damals der breiten Masse gezeigt, wie gut man Bilder und Filme verfälschen kann. Man konnte sich aber (noch) beruhigen, weil die Bilder aufwändig nachbearbeitet wurden. Nachbearbeiten hieß hier noch eine nachträgliche Bearbeitung am Computer.

Wenn das, worüber Der Spiegel hier berichtet, sich noch etwas weiterentwickelt, wird sich irgendwann die Frage stellen, ob das was auf der Speicherkarte der Digitalkamera landet, noch in jedem Fall authentisch ist. Zumindest dann, wenn die Nachbearbeitung automatisch vor der Erstbetrachtung auf dem Display erfolgt.

Ist ein Bild dann noch ein Abbild?

2 Gedanken zu „Ist ein Bild dann noch ein Abbild?

  1. ja, ja… ein interessantes thema das du da ansprichst. vor gericht verwertbar sind bisher solche bilder ja sowieso nicht. nikon entwickelt jetzt allerdings die meines wissens erste digitalkamera mit signatur, deren bilder auch bei prozessen verwertbar sind. dass fotos die wirklichkeit widergeben ist ein dummer irrglaube, der von manchen menschen wohl immer noch hochgehalten wird. allein schon die auswahl des bildausschnitts, der brennweite, des winkels ist eine interpretation der situation…

    aber du siehst die sache ja auch, wie ich herauslese, nicht so ernst. ich freue mich über die ganzen neuen funktionen als fotograf. je mehr automatiken und features die normalen knipser bekommen, umso weniger werden sie sich mit ihrer technik auseinandersetzen und machen mir in zukunft noch weniger konkurrenz. 😉

    grüße aus bochum!

  2. Natürlich hat die Sache auch seine lustigen Seiten (z.B. wenn der Tourist-Remover ungewollt die eigene Kegelgruppe vorm Kölner Dom wegradiert), im Kern nehme ich die Sache aber doch eher ernst.

    Der von Dir genannte Ansatz mit den Signaturen ist recht interessant. Er setzt aber voraus, dass man daruf vertrauen kann, dass die Kamera wirklich ein 1:1-Abbild erstellt; wobei ja schon „normale“ Verarbeitungsschritte wie Weißabgleich, Rauschunterdrückung und Schärfung in meinen Augen inhaltsverändernde Schritte sein können. Wenn man dieses Vertrauen nicht haben kann, dann hilft die ganze Signiererei nix, denn letztendlich kann die Kamera ein Bild auch Signieren, nachdem sie all‘ die lustigen Spielchen mit den Bildinhalten getrieben hat.

    Aber hier sind wir wieder an dem zentralen Punkt, ob ich einer Black Box jemals ein umfassendes Vertrauen entgegen bringen kann…

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